Bild eines jungen Mädchens, das auf dem Bauch liegt und auf dem Bett chillt

Macht die Welt uns fertig? Brauchen wir es kuscheliger?

Schon zu der Zeit, als ich ein Ladengeschäft im Buchhandel führte, fielen mir Cozy Crime Romane auf. So richtig konnte ich mir darunter nichts vorstellen. Aber es schien darum zu gehen, dass es Kriminalfälle in der Literatur gibt, bei denen nicht das Blut eimerweise über die Seiten läuft.

Im Laufe der Zeit kam ich noch des Öfteren mit Aspekten in Berührung, bei denen cozy (gemütlich, bequem, angenehm) eine Rolle spielt. Nicht unbedingt wortwörtlich, aber es lässt sich doch ganz klar ein Trend daraus erkennen.

Bleiben wir erst einmal beim Thema Buch. Da gibt es nicht nur Cozy Crime Romane, sondern es werden auch in der Werbung Personen beim Lesen dargestellt. Gemütlich auf einem Sofa ausgestreckt, in einem flauschigen Pullover und mit einer dampfenden Tasse Tee in Reichweite. Nicht zu vergessen, die um die Beine gewickelte Decke. Ein typisches Bild. Warm. Gemütlich. Kuschelig. Cozy eben.

Und das Ganze setzt sich in der Wohnungseinrichtung fort. Nur heißt es hier nicht Cozy, sondern Hygge. Warme Farben, natürliche Materialien. Alles darauf ausgerichtet, sich wohl zu fühlen.

Es mehren sich Filme und Serien, die ich einfach nur gerne schaue. Dort gibt es keine Gewalt. Es gibt immer mal etwas zum Lachen. Und irgendwie sind sie einfach nur schön. Sie berühren mich. Meine persönlichen Favoriten dieses Genres sind z.B. Filme wie „Liebe braucht keine Ferien“ oder kürzlich „Der Buchspazierer“. Oder die Serien „Red Oaks“ und „Ted Lasso“, „Acapulco“ und „Still Up“.

Sie zu sehen, macht einfach ein gutes Gefühl, lässt einem warm ums Herz werden und ist richtig entspannend.

Heute früh las ich schließlich einen Artikel über Cozy Gaming. Und da machte es Klick. Ja auch da ist Cozy Feeling bereits eingezogen. Animal Crossing oder Star Dew Valley sind zwei Vertreter dieser Gattung. Wer mich kennt weiß, dass ich viele Jahre lang leidenschaftlich gern Ego Shooter gespielt habe. Doch in den letzten Jahren bin ich wieder zu den schönen Spielen zurückgekehrt. Ganz früher, in den 1980er und folgenden Jahren, waren es immer die Adventures, die mich begeisterten. Dann kam wie gesagt, die Phase der Ego Shooter dazwischen und mittlerweile suche ich immer mehr Spiele aus, die einfach nur Spaß machen oder schön sind. Ich liebe berührende Stories und schöne Welten.

Sicher könnte man zu diesem soziologischen Thema einige Bücher schreiben, während ich es in diesem Beitrag nur oberflächlich ankratzen kann. Dennoch möchte ich es versuchen.

Wenn ich diese ganzen Trends anschaue und noch die große Schar derer, die zum Beispiel an Live Action Rollenspielen (LARP) teilnehmen oder den Bereich Brettspiele betrachte, der im Moment eine richtige Hype erfährt, dann kommt mir der Begriff Eskapismus in den Sinn.

Ich assoziiere das mit Realitätsflucht, Entspannung, Suche nach Stabilität, mal dem Alltag entfliehen. Als positiv besetzte Deutungen. Realitätsferne und Suchtgefahr verkörpern dagegen die Schattenseite des ursprünglichen Eskapismusbegriffes.

Schaue ich auf das, womit wir Menschen in den letzten Jahrzehnten konfrontiert werden, erklärt sich mir so manches. Täglich gibt es irgendeine Meldung über irgendeine Krise. Nach dem Krieg in Jugoslawien Anfang der 90er haben wir jetzt wieder Krieg in Europa. Die Flut an Informationen, der unterschwellig vorhandene Zwang nichts verpassen zu dürfen, die unüberschaubare Anzahl an Optionen jeglicher Art, die zu einer Masse an Entscheidungen zwischen Für und Wider werden. Dazu steigender Druck in der Arbeitswelt, in der Wirtschaft. Optimierungswahn und -zwang, Pandemie und Klimakrise. Rechtsextremismus. Linksextremismus. Islamismus. Parteienverdrossenheit. Attentate an normalerweise friedlichen Orten. Selbst Kinobesuche, die früher entspannt waren, werden heute zu einem Event bombastischen Ausmaßes. Schnelle Schnitte, zunehmende Brutalität. Da ist Kino dann nicht wirklich entspannend.

Alles zusammen macht doch etwas mit uns.

Ich bin davon überzeugt, dass der soeben beschriebene Cozy Trend, in all seinen Facetten, Folge all dieser Entwicklungen ist.

Ich glaube in ihm die Sehnsucht der Menschen nach Frieden und Ruhe erkennen zu können. Diese Welt, die immer mehr aus den Fugen zu geraten scheint, überfordert uns. Ist es da ein Wunder, dass wir versuchen, irgendwie andere Gedanken in unsere Köpfe zu bekommen? Ja, das passt nicht mit dem überragenden Erfolg von Serien wie The Walking Dead oder Game of Thrones zusammen. Oder die große Beliebtheit von Horror und Halloween. Alles unter dem Strich eher wenig aufbauend, dennoch populär.

Aber ich behaupte auch nicht, dass alle Menschen diesem Cozy Trend folgen. Es ist eben ein Trend, eine Tendenz. Eine Tendenz, die ich wahrnehme. Und es wird immer mehr. Ja, das ist natürlich eine subjektive Betrachtung. Doch liege ich damit falsch?

Jeder Mensch auf Gottes Erde sehnt sich im Grunde seines Herzens nach Friede, Glück und Angenommensein. Hin und wieder ist Action ganz nett. Keine Frage. Aber die heutige Zeit bietet Daueraction. Und die macht uns auf Dauer kaputt. Darum versuchen wir, wenn auch nur in kleinen Teilen, dieser Action zu entfliehen. Wenigstens von Zeit zu Zeit.

Du magst spannende Kriminalromane? Dann tut es auch ein gut geschriebener, weniger brutaler Cozy Crime.

Du schaust gern Filme? Stadt Knall und Bumm ist einer, der das Herz berührt, die entspannendere Variante.

Und anstatt Zombies den Kopf wegzublasen, macht es sehr viel Spaß mit dem Mähdrescher virtuell die Ernte einzufahren.

Gerade die Corona-Pandemie zeigte uns, wie wertvoll echte Begegnung mit Menschen sind, wie zerbrechlich unsere eben nicht so heile Welt ist. Das Laute, Bunte, Fordernde und Überfordernde stresst uns, macht uns im wahrsten Sinne des Wortes krank. Die Statistiken über Krankenstand, Depression, Burn Out und die Zunahme psychischer Störungen, gerade bei jungen Menschen, sprechen für sich.

Auch dieser Blog hier, der sich mit einem gesünderen Leben in Körper, Geist und Seele befasst, ist im weitesten Sinne Eskapismus. Raus aus ungesunder Ernährung, Bewegungsmangel, schlechten Gedanken. Hin zum Gesunden und Schönen. Hin zum Leben. Für das Leben.

Wir brauchen doch das Positive in und um uns. Alles andere macht uns fertig, macht uns krank. Das wollen wir nicht. Niemand will das.

Darum denke ich: Ja, wir brauchen es kuscheliger.

Ohne die Augen für die Realität zu verschließen oder in Apathie und Prokrastination zu verfallen, brauchen wir mehr vom Schönen, vom Guten im Leben, brauchen wir „Kuscheleinheiten“. Ob im Miteinander oder in den imaginären Welten von Büchern, Filmen oder Spielen.

Wir sind im Inneren Kinder, die nach Geborgenheit und Wärme suchen, auch wenn uns die Welt Coolness und erstrebenswerte Perfektion und Optimierung suggeriert.

Gesellschaftliche Trends sind Seismographen solcher Entwicklungen. Achten wir auf sie und ziehen wir unsere Schlüsse daraus.

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